Tanz zur Schließung des Collegium Academicum

Wenn Fantasy Factory nicht dabei war! Wenn ich es nicht persönlich erlebt habe! Wir spielten nicht nur bei den ersten Festivals zum Heidelberger Herbst, in der legendären Free Clinic in der Brunnengasse, zur Eröffnung des Schwimmbad-Restaurants als Musik Veranstalter, sondern auch anläßlich der Schließung im traditionsreichen, selbstverwalteten Studentenwohnheims Collegium Academicum. Hier hatten wir schon unsere Karriere als Band begonnen.
 
Einige der Bewohner kannte ich gut. Einer war ein alter Freund aus Bonn. Und natürlich waren wir gerne bereit, bei dem Fest an diesem allerletzten Tage des CA auf zu treten. Ich glaube, das Collegium Academicum sollte bis Mitternacht geräumt sein, aber natürlich ging dies Fest bis in den frühen Morgen. War das nicht alles sehr revolutionär, wie eben die Jugend von heute damals auch?
 
Draußen vor dem CA trieben sich schon eine Menge Polizisten herum, und sie legten großen Wert darauf, dass das auch alle merkten. Am nächsten Tage sollte ich noch recht unangenehme Abenteuer mit ihnen erleben. Und genau darauf möchte ich jetzt genauer ein gehen. Oh ja, es ist ein Stück Heidelberger Stadtgeschichte, und ich habe sie hautnah mit erlebt.
 
Wir spielten in dem großen, zentralen Saal in einem der oberen Stockwerke des CA. Wir alle waren jung und wollten trotzig unseren Spass. Da kam so eine ausgeflippte Band wie Fantasy Factory grade recht.
 
Die halbe Heidelberger Polit-Szene war hier versammelt, und es waren genügend Leute dabei, die durchaus Verständnis für Bader, Meinhoff und Co. hatten (auch als Rote-Armee-Fiction bekannt). Nun, wir dagegen standen für Gute Musik.
 
Als wir unsere Anlage auf bauten, war
der geräumige Saal schon ziemlich voll, und als wir los legten, wären nicht viel mehr Leute hinein gegangen. Natürlich fiel mir auf, dass eine ganze Menge ausgesprochen attraktiver - nannte ich sie damals eigentlich noch "Mädchen"? - dabei waren.
 
Wie nicht anders zu erwarten, gefiel unser Konzert den Leuten, und sie begannen begeistert, im voll gepackten Saal zu tanzen. Schnell wurde es ziemlich beängstigend: Offensichtlich tanzten mehr Leute, als die Statik eigentlich zu ließ. Das wurde sehr deutlich: Der Boden bebte. Etwas macht mir das sogar heute noch, Jahrzehnte später Angst. Eigentlich ein gutes Zeichen, dass ich überhaupt davon erzählen kann.

Ich glaube, es ist schon deutlich genug geworden, dass wir das Ganze überstanden haben. Irgendwann am frühen Morgen schleppten wir dann unsere Anlage in unseren Proberaum im Keller des Heidelberg College auf der anderen Neckarseite zurück. Das CA war jetzt Geschich- te, und ich hätte mir nicht vor stellen können, auf welch absurde Weise ich noch in den politischen Konflikt wegen seiner Schließung verwickelt werden sollte.

Von der Bandprobe in den Knast
 
Nun, es begann ganz harmlos am nächsten Tage, als ich nach Fantasy Factorys Bandprobe noch in der Altstadt zu Essen für das Wochenende einkaufen wollte. Aber dazu würde ich an diesem denkwürdigen Tage nie kommen.
 
Der Platz vor der alten Uni wurde grade gepflastert, und überall lagen Haufen von Steinplatten lose herum. Auf dem Platz eine Menge schwer gerüsteter Polizisten; ich glaube, es waren Sondereinsatzkommandos. Am Rande viele mehr oder weniger normale
Bürger, darunter natürlich auch zahlreiche Studenten, denen die Schließung des CA überhaupt nicht gefiel.
 
Plötzlich stürmten die Polizisten auf uns Bürger los und drängten uns weg. Ich verzog mich in ein Buchgeschäft.
 
Von hier aus konnte ich gut hören und beobachten, wie zwei höher gestellte Polizisten sich gegenseitig an schrien, wer das eigentlich befohlen hätte. Ich hätte sie ja beruhigen können, dass ich es nicht war, aber grade dafür schienen sie sich überhaupt nicht zu interessieren.
 
Nun ging ich die Hauptstraße Richtung Bismarckplatz und Rohrbach; ich brauchte ja noch was zu essen für das Wochende. Aber heute war alles ganz anders, und niemand sprach mich wegen unseres tollen Auftrittes an. An diesem Tage brodelte überall der Konflikt wegen der Schlie- ssung des CA. Überall Polizisten, und überall Demonstranten, teilweise mit Flugblättern.
 
Plötzlich stürzte sich ein Polizist auf ein hübsches Mädchen nicht weit von mir, ich glaube, sie hatte dunkelrote oder rotbraune Haare.
 
Er riss ihr den Arm mit einem dicken Stoffbeutel herunter, und ein Packen Flugblätter fiel heraus auf den Boden. Ich sagte ohne zu überlegen: "Scheiße!", und merkte schon an dem Blick, der der Kerl in der Jeansjacke neben mir auf mich warf, dass ich in dicke Schwierig- keiten geraten war. Der Kerl war offensichtlich ein Ziviler.
 
Er meinte auch gleich, dass ich jetzt fest genommen sei und ihn zu folgen hätte. Das tat ich auch, wohin weiß ich nicht mehr; genau so wenig, wie ich weiß, ob etwas, und wenn was, mit der Demonstrantin geschah. Ich musste nämlich dem Zivilen auf dieses Revier folgen. Und schwupp war er schon wieder weg.
 
Die Polizisten hier waren dementsprechend ratlos und fragten mich, warum ich eigentlich hier sei. Als studierter Jurist konnte ich ihnen nur antworten, dass ich ihnen da auch keinen Grund nennen könne.
 
So richtig glücklich schien meine Antwort die Polizisten nicht zu machen.  Sie hatten keinen Grund für garnichts und konnten mich sicherheitshalber nur weiterhin vorläufig fest genom- men behalten. Für sie bedeutete das jetzt ernsthafte Probleme: In Heidelberg und seinem nahen Umfeld waren schon alle Zellen belegt.
 
Ich weiß nicht mehr, ob ich schon hier auf gefordert wurde, den Gürtel meines Parkas aus zu ziehen, oder erst im
Gefängnis meinen Hosengürtel. Zu diesem Zeitpunkt war selbst den Polizisten noch nicht klar, was sie eigentlich mit mir machen sollten.
 
Jedenfalls wurde ich erst später auf gefordert, mit 2 anderen Typen in einen Kleinbuss zu steigen. Zu ihnen erfuhr ich nichts. Wahrscheinlich sagten uns die Polizisten jetzt, dass wir ins Gefängnis nach
Sinsheim gebracht werden sollten, einer Kleinstadt nicht all zu weit von Heidelberg weg; heute würde ich schätzen, knapp 30 km. Inzwischen war es schon früher Abend.
 
Für mich wurde dies eine recht absurde Fahrt, bei der ich erste Eindrücke von meinen Leidensgenossen erhielt. Einer von ihnen hob Plakate auf und presste diese von innen an die Fensterscheiben. Es lagen ja genug davon auf dem Boden, meist sozialistisch oder kommu- nistisch. Das ließ unsere Fahrt wenigstens nicht vollkommen langweilig werden. Nun, für mich war es ja auch das erste Mal.
 
Aber dann die Zellen dort. Wir wurden einzeln unter gebracht, und ich vermute mal, keine unserer Zellen hatte fließend Wasser. Wenn ich mich recht entsinne, war in meiner eine Art Kübel hoch gemauert. Mir war nicht danach, ihn zu benutzen. Ich glaube, mit uns waren auch die Unterbringungsmöglichkeiten hier erschöpft.
 
Ein paar Stunden lang hatte ich jetzt Gelegenheit, mich intensiv mit meiner Lage zu befassen. Damit, dass ich nicht hatte einkaufen gehen können. Das ich weit weg in der Pampa saß und nicht wußte, wie ich wieder nach Hause kommen sollte.
 
Dabei konnte mir schon ein kurzer Blick in den Kübel mehr Mut verschaffen. So schlimm ging es mir doch garnicht. Ich musste auch nur ein paar Stunden meditieren, schon öffnete sich meine Zellentür.
 
Es war nun 22:00 Uhr, und die Sinsheimer Polizisten verkündeten unsere Entlassung. Wir wurden nicht etwa zurück nach Heidelberg gefahren, sondern
sie eröffneten uns nun, dass wir das Kommissariat zu verlassen hätten.
 
So fand ich mich in einer mir vollkommen unbekannten Stadt, es war Nacht, und ich hatte nichts zu essen für dies Wochenende.
 
Hilfe brachte die Politik, die mich in diese beschxxxene Situation gebracht hatte. Es erwies ich, dass sich meine Kollegen viel besser damit aus kannten, als ich. Einer war vom KBW. Sie haben ganz richtig verstanden, vom kommunistischen Bund Westdeutschland. Die Hilfe bestand in einem Wagen des Fahrdienstes des KBW, der uns zurück nach Heidelberg fuhr. Dem KBW muss ich bis heute Abbitte dafür leisten.
 
Aber damit war meine Welt ja noch lange nicht wieder in Ordnung. Gut, ich war wieder in Heidelberg, aber es war Samstag Nacht, ich hatte weder zu essen, noch zu trinken, und der Sonntag stand bevor. Was blieb mir da übrig?
 
Zum Glück hatte ich Freunde in einer WG in der Valentin-Winter-Strasse in Heidelberg- Rohrbach. Bei denen ging ich vorbei, und versetzte sie mit meiner Geschichte in ungläubiges Staunen. Sie gaben mir gerne zu essen, und natürlich wurde ich für Sonntag auch ein geladen. Noch später würde ich dann bei ihnen ein ziehen.
 
Auch diese Gefangennahme würde mich viele Jahre später abwehrend reagieren lassen, als mir im Rahmen einer verfehlten Deeeskalationsstrategie Gefängnis angedroht wurde, wenn ich weiter zu meiner Arbeit wollte. Außerdem hatten
Eltern mich deutlich auf gefordert, mich jeder Gewalt gegen unseren Staat entgegen zu stellen.  Mehr hierzu unter http://www.deeskalation-so-nicht.de  .
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